Spinoza,
Benedictus de (1632-1677)
(auch Baruch Despinoza)
S. wurde am 24. November 1632 in Amsterdam als Sohn jüdischer
Eltern geboren, die aus Portugal nach Holland ausgewandert waren. Er besuchte
die jüdische Schule und studierte bald, unter der Leitung des Saul Levi Morteira,
den Talmud nebst den Schriften des Maimonides, des Gersonides u. a., ferner die
Kabbala, zwar unbefriedigt von dem allen, aber doch nicht ohne einen gewissen
Einfluß durch dieses Studium zu erfahren. Von dem Arzte und Freidenker Franz
van den Enden erhielt er Unterricht im Lateinischen, auch im Griechischen,
welches letztere er aber nur unvollkommen erlernte. Er studierte auch eine
Reihe scholastischer Autoren (Thomas von Aquino, Heereboord u.a.), las auch
vielleicht Giordano Bruno und beschäftigte sich eifrig mit den Schriften
Descartes' und mit Naturwissenschaften.
Wegen seiner freien Anschauungen von der Synagoge zum
Widerruf aufgefordert, verweigerte er diesen, ließ sich auch durch nichts bestechen
und so wurde er 1656 wegen seiner »Irrlehren« in den großen »Bann« getan, was
ihn aber nicht bewog, etwa Christ zu werden. Nachdem S. (auf den ein
fanatischer Jude einen Mordversuch gemacht haben soll) 1656-60 in der Nähe von
Amsterdam gelebt hatte, wurde er, als Atheist verdächtigt, ausgewiesen und
lebte nun in Rhynsburg, mit seinen Freunden Simon de Vries und Ludwig Meyer in
Amsterdam korrespondierend und philosophisch tätig. Seinen Lebensunterhalt
erwarb er sich durch Schleifen optischer Gläser, eine Tätigkeit, die wohl den
frühen Tod des schwächlichen Mannes beschleunigen half. 1664-69 hielt sich S.
bei Haag (in Voorburg), von 1670 an in Haag auf, zuerst im Hause der Witwe van
Velden, dann bei dem Maler van der Spyck.
Die heftigen Angriffe, die sein »theologisch-politischer
Traktat« erfuhr, bestimmten S., nichts mehr zu veröffentlichen ; wenn auch
keineswegs feig, war er doch keine Kampfnatur, die Ruhe des Geistes ging ihm
über alles, und so nahm er auch eine ihm im Jahre 1673 durch Karl Ludwig von
der Pfalz angebotene Professur in Heidelberg nicht an, um in seinem Philosophieren
frei und unbeeinträchtigt zu sein. Ein Mann von den geringsten Bedürfnissen,
eine echt beschauliche, abgeklärte Natur, ein höchst lauterer, streng
sittlicher, gütiger, edler Charakter von »grenzenloser Uneigennützigkeit«
(Goethe), lebte er rein der philosophischen Forschung, zugleich (wie die
Rabbiner des Mittelalters) sein Handwerk ausübend und eine kleine Rente, die
ihm sein Freund Simon de Vries vermachte, beziehend.
Am 21. Februar 1677 starb S. an seiner Schwindsucht. Lange
Zeit galt er als verruchter »Atheist«, wie ein »toter Hund« wurde er behandelt,
bis dann seit Lessing, Herder, Goethe, Schleiermacher das Blatt sich wandte,
Spinozas Charakter und Denken zu größten Ehren kam und sein Einfluß auf die Philosophie
ein außerordentlicher wurde, so daß geradezu ein »Neo-Spinozismus« entstand.
S. ist der Begründer des neueren Pantheismus als System
einer Identitätsphilosophie, eines universalen Monismus. Ein neues System liegt
vor, wenn auch Einflüsse seitens des jüdischen Einheitsgedankens, der Stoa, des
Neuplatonismus, der Scholastik und Mystik, G. Brunos u. a. bestehen, und wenn
auch S. zunächst an Descartes anknüpft.
In erkenntnis-theoretischer Beziehung ist S. Rationalist,
der sich aber schließlich einer gewissen Mystik zuwendet (»intellektuelle
Gottesliebe«).
Sein System gibt S. erst in der nach seinem Tode erschienenen
»Ethik«, welche ihren Namen daher hat, daß hier die rechte Gestaltung des
menschlichen Lebens durch Erkenntnis das Ziel ist. Der Abfassung der »Ethik«
(1662 ff,, öfter überarbeitet, erst in drei, dann in
fünf Büchern) gingen verschiedene Arbeiten voraus, die schon manches aus dem
Hauptwerk vorwegnehmen, zum Teil aber mit Modifikationen.
Der »Tractatus de Deo
et homine eiusque felicitate« ist - das lateinische Original dürfte
verloren sein - in holländischer Übersetzung erst spät gefunden worden. Hier
führt S. aus, das Dasein Gottes gehöre zu seinem Wesen und Gott müsse, wenn der
Mensch eine Vorstellung von ihm hat, auch wirklich sein (I, 1). Gott ist das
Wesen, dem alles oder unendliche Attribute beigelegt werden, von welchen jedes
unendlich und vollkommen ist; das All muß eben alle Attribute halten.
Es gibt keine beschränkte Substanz, alle Substanz muß in
ihrer Art unendlich vollkommen sein; es gibt nicht zwei Substanzen, eine kann
die andere nicht hervorbringen. In dem »unendlichen Verstande Gottes« gibt es
nichts, als was in der Natur wirklich ist. Gott hat alles, was in seinem Denken
lag, geschaffen. Denken und Ausdehnung sind die uns bekannten Attribute der
göttlichen Substanz, welche an sich unteilbar ist (Teile sind reine
Gedankendinge). Die einzelnen Dinge sind »Modi« der Substanz, diese ihr Ursprung,
von dem sie abhängen. Gott ist die einzige, ewige, unendliche, durch sich
selbst bestehende Substanz, die »immanente Ursache« der Dinge.
Es gibt eine schaffende und eine geschaffene Natur: erstere
ist (wie dies schon die Thomisten sagen) Gott. Die geschaffene Natur ist ein
»Sohn, Geschöpf oder Produkt« Gottes, ebenso wie der Intellekt, der von Ewigkeit
her geschaffen ist und ewig unverändert bleibt.
Der Mensch ist keine Substanz, sondern besteht aus Modis des
Denkens und der Ausdehnung; unsere Seele ist nur ein Modus wie unser Körper.
Die Erkenntnis Gottes geht der Erkenntnis aller anderen Dinge voraus und die
höchste Liebe knüpft sich an die Erkenntnis Gottes als des Vollkommensten, Gott
ist die Wahrheit, die Wahrheit ist Gott selbst. In intellektualistischer Weise
bestimmt S. den Willen als Vermögen der Bejahung oder Verneinung, ob etwas gut
oder schlecht ist, als Idee. als Modus des »Denkens« (im weitesten Sinne), als
Werk des Verstandes (im Unterschied von der Begierde, vom Trieb). Es gibt keine
Freiheit des Willens. Wir sind von der Natur abhängig, sind »Diener, ja Knechte
Gottes«, und es ist dies unsere größte Vollkommenheit, indem wir ein Teil des
Ganzen sind und an seinen Werken mitwirken. Darin, daß wir Gott alles zuschreiben,
ihn allein lieben und uns so ihm ganz opfern, besteht der wahre Gottesdienst
und unsere wahre Glückseligkeit. Wenn die Seele mit Gott sich vereinigt (in der
Liebe), dann muß sie mit ihm unveränderlich bleiben, d.h. dadurch und insofern
unsterblich sein.
Im »Tractatus de
intellectus emendatione« betont S. den Vorrang der Spekulation, der
Erkenntnis des Wahren und Göttlichen, vor allen anderen, vergänglichen und
unbefriedigenden Gütern. Nachdem er eingesehen, daß alles, was sich im
gewöhnlichen Leben bietet, eitel und wertlos ist, und daß alles, wovor er sich
fürchtete, nur insofern Gutes oder Schlimmes enthielt, als die Seele davon
bewegt wurde, beschloß er, an die Forschung nach einem wahren und beständigen
Gut zu gehen. Ehre, Reichtum und Sinnenlust gab er um der Erkenntnis willen
auf, die den Menschen vervollkommnet. Als Erkenntnisarten führt hier S. an:
1. das Wissen durch Hörensagen oder ein sonstiges Zeichen,
2. das Wissen durch vage, rohe Erfahrung,
3. das Wissen durch (nicht-adäquates) Erschließen des Wesens
einer Sache aus einer ändern Sache,
4. das Wissen, bei dem die Sache bloß aus ihrem Wesen oder
durch die Erkenntnis ihrer nächsten Ursache begriffen wird.
Nur die vierte Art des Wissens erfaßt das »adäquate Wesen«
einer Sache ohne Irrtum. Die wahre Idee ist verschieden von ihrem Gegenstände
(ihrem »Ideat«), sie ist das ideelle (bei S. »objektive«) Sein des Gegenstandes
und als solches erkennbar. Die Gewißheit ist die Art, wie wir das wirkliche
Sein empfinden.
Vor allem muß, damit Gewißheit möglich ist, in uns die wahre
Idee wie ein angeborenes Werkzeug vorhanden sein, das als Norm dient. Die
Wahrheit offenbart sich selbst und das Falsche; Ideen, die klar und deutlich
sind, können niemals falsch sein (vgl. Descartes), sie stammen »rein aus dem
Geiste«, nicht aus den zufälligen Erregungen des Körpers. Der Verstand denkt
mit Evidenz und notwendig so, wie er denkt; ferner erfaßt er die Dinge unter
dem Gesichtspunkte der Ewigkeit und Unendlichkeit, d.h. er achtet weder auf die
Zahl noch auf die Dauer. Falschheit und Irrtum beruhen auf einem Mangel der
Ideen, sind nichts Positives.
Die »Ethik«, das
Hauptwerk S.s ist nach geometrischer Methode (»more geometrico«), nach dem Vorbilde
des synthetischen Verfahrens Euklids, abgefaßt. An die »Definitionen« der
Begriffe schließen sich »Axiome« (Grundsätze) und aus beiden werden »Lehrsätze«
(propositiones) abgeleitet, auf welche dann »Korollarien« (Zusätze) und
»Scholien« (Erläuterungen) folgen. In rationalistischer Weise leitet. S. seine
Sätze rein begrifflich ab, in der Überzeugung, daß der logischen Folge aus
ihren Gründen das Folgen der Dinge aus ihrem Urgrunde entspricht. Die Kausalität
erhält so bei ihm einen mathematisch-logischen Charakter, das Sein wird völlig
logisiert.
Das erste Buch der
»Ethik« enthält die allgemeine Metaphysik. Das Prinzip aller Dinge, der
Urgrund derselben, ihre immanente Ursache, ihre ihnen innewohnende Einheit (die
nicht die Summe der Teile ist; sondern etwas. Ursprüngliches), das allein
wahrhaft Seiende, Ewige, die einzige Substanz ist Gott oder die (schaffende)
Natur (»deus sive natura«).
Gott ist das Absolute,. dasjenige,
dessen Wesen die Existenz einschließt, das, was nur als existierend gedacht
werden kann, der Grund seiner selbst, »causa sui« (»per causam sui intelligo
id, cuius essentia involvit existentiam sive id, cuius natura non potest
concipi nisi existens«). Während Descartes zwar schon Gott als absolute
Substanz bestimmte, daneben aber doch Geist und Körper als abhängige Substanzen
angesehen hatte, gibt es für S. nur eine einzige, allen Dingen zugrunde liegende
Substanz, Gott oder die Natur.
»Substanz« ist, was in sich ist und durch sich allein begriffen
wird, das absolut für sich allein, ohne Beziehung auf etwas anderes Denkbare
(»per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitur, hoc est
id, cuius conceptus non indiget conceptu alterius rei, a quo formari debeat«).
Die Substanz, das unendliche, allgemeine Sein, geht logisch ihren
Besonderheiten vorher (»substantia prior est natura suis affectionibus«), da
diese ohne sie nicht denkbar sind. Es kann nur eine Substanz geben; weil sie
unendlich ist, kann eine Substanz nicht die andere beschränken, auch sie nicht
hervorbringen. Es gehört zum Wesen der Substanz, zu existieren, und zwar als
unendlich und unteilbar (»substantia absolute infinita est indivisibilis«).
Gott ist die einzige Substanz (»propter Deum nulla dari neque concipi potest
substantia«), und Gott existiert (als das »ens absolute infinitum«) notwendig, seine
Existenz ist eins mit seinem Wiesen (»Dei essentia et existentia unum et idem
sunt«). Er ist die aus unendlichen Attributen, die alle sein Wesen ausdrücken,
bestehende Substanz (»substantiam constantem infinitis attributis, quorum
unumquodque aeternam et infinitam essentiam exprimit«), er enthält alles und
alles ist in ihm, von ihm abhängig (»Quidquid est in Deo est, et nihil sine Deo
esse neque concipi potest«). Gott ist die immanente Ursache der Dinge, er verbleibt
mit seinem Wesen in ihnen (»Deus est omnium rerum causa immanens, non vero
transiens«). Nichts gibt es außerhalb Gottes. Gott ist die schaffende Natur
(die »natura naturans«), sofern er freie Ursache (causa libera) von allem ist;
die geschaffene Natur (»natura naturata«) ist der Inbegriff dessen, was aus dem
Wesen Gottes und seiner Attribute notwendig folgt (»omne, quod ex necessitate
Dei naturae sive unius cuiusque Dei attributorum sequitur«), die Summe der
»Modi«, des Einzelnen.
Unter Attribut versteht S. das, was das Denken als das Wesen
der Substanz ausmachend erfaßt (»per attributum intelligo id, quod intellectus
de substantia percipit tamquam eiusdem essentiae constituens«). Je mehr etwas
Realität hat, desto mehr Attribute hat es; daher besteht Gott als das höchste
Sein aus unendlich vielen Attributen, die alle sein Wesen ausdrücken.
Von diesen Attributen erfassen wir aber nur zwei: Ausdehnung
(»extensio«) und Denken (Bewußtsein, Vorstellung, »cogitatio«). Jedes dieser
Attribute ist durch sich selbst zu denken, dennoch bleibt die Substanz nur ein
Wesen mit zwei Seinsweisen (»quamvis duo attributa realiter distincta
concipiantur, hoc est, unum sine ope alterius, non possumus tamen inde concludere,
ipsa duo entia sive duas diversas substantias constituere«). Jedes Attribut ist
unendlich, unveränderlich und ewig wie Gott selbst (»omnia Dei attributa sunt
eterna«), und alles, was aus ihnen folgt, existiert ewig und unendlich. Die
eine Substanz ist also sowohl ausgedehnt als »denkend« (geistig), so daß Körper
und Geist keine Substanzen, sondern Seinsweisen der Substanz sind.
Die endlichen Besonderungen oder Zustände der Substanz nennt
S. Modi (»Per modum intelligo substantiae affectiones, sive id quod in alio
est, per quod etiam concipitur«). Sie sind unselbständig, inhärieren der Substanz,
sind wechselnde Zustände der Attribute, aus welchen sie erfolgen. Aus ihnen
bestehen die Einzeldinge und diese sind nichts als Zustände der göttlichen
Attribute und damit der Substanz selbst, aber nicht etwa Teile dieser (»res
particulares nihil sunt, nisi Dei attributorum affectiones, sive modi, quibus
Dei attributa certo et determinato modo exprimuntur«). Während die Körper sowie
ihre Gestalten und Bewegungen Modi der unendlichen Ausdehnung sind, bedeuten
die Seelen und ihre Vorstellungen, Gedanken, Wollungen (»singulares
cogitationes«) Modi des unendlichen Denkens.
Die einzelnen Intellekte konstituieren insgesamt den ewigen
und unendlichen Intellekt Gottes (»mens nostra, quatenus intelligit, aeternus
cogitandi modus est, qui alio aeterno cogitandi modo determinatur et hic iterum
ab alio et sic in infinitum, ita ut omnes simul Dei aeternum et infinitum intellectum
constituant«). Der menschliche Intellekt ist ein Teil des unendlichen
Intellekts. Dieser selbst erfaßt nichts anderes als die göttlichen Attribute
und deren Affektionen; Gott denkt Unendliches auf unendliche Weisen, er hat
eine Idee von sich und allein, was aus ihm folgt (»Deus enim infinita infinitis
modis cogitare, sive ideam suae essentiae et omnium, quae necessario ex ea
sequuntur, formare potest«).
In Gott sind ferner Freiheit und Notwendigkeit eins: indem Gott
seiner Natur gemäß wirkt, handelt er frei, d.h. durch nichts genötigt, und
zugleich notwendig (»Deus ex solis suae naturae legibus et a nemine coactus agit«,
»ex sola suae necessitate«). Alles folgt mit (logischer) Notwendigkeit aus dem
Wesen Gottes, nichts konnte daher anders werden, als es der Fall ist (»res nullo
alio modo neque alio ordine a Deo produci potuerunt, quam productae sunt«),
alles ist insofern prädeterminiert (»quod omnia a Deo fuerint praedeterminata«)
und determiniert (»determinata... ad certo modo existendum et operandum«). In
der Welt. Ist alles kausal bedingt, alles geschieht notwendig, gesetzlich. Gott
wirkt aber so, daß er nie unmittelbar eingreift, sondern daß er stets nur durch
einen bestimmten Modus Ursache eines ändern Modus ist. In der Natur geht alles
streng kausal-mechanisch zu (Korpuskulartheorie), ohne Wirksamkeit von Zweckursachen,
welche letztere nur Fiktionen sind (»omnes causas finales nihil nisi humana
esse figmenta«).
Im zweiten Buche
lehrt nun S., daß eine Kausalität nur innerhalb jedes Attributes, also nur
innerhalb jeder Reihe von Modi existiert, nicht aber ein Kausalnexus zwischen
den Modis verschiedener Attribute. Physisches wirkt stets nur auf Physisches, Psychisches
nur auf Psychisches oder Körper auf Körper, Gedanken auf Gedanken (»Cuiuscunque
attributi modi Deum quatenus tantum sub illo attributo, cuius modi sunt, et non
quatenus sub ullo alio consideratur, pro causa habent«). Zwischen Körper und
Geist besteht keine Wechselwirkung (»nec corpus mentem ad cogitandum, nec mens
corpus ad motum neque ad quietem nec ad aliquid... aliud determinare potest«).
Die Gedanken (Vorstellungen usw.) haben nur Gott als
denkendes Wesen (»res cogitans«), nicht als ausgedehnte Substanz zur Ursache.
Vorstellung und Ding, Bewußtsein und Sein, Psychisches und Physisches gehen
einander als Seinsweisen eines und desselben Wesens in derselben Ordnung
parallel, ohne aufeinander einzuwirken (Psychophysischer Parallelismus auf
Grund einer Identitätstheorie). »Quod substantia cogitans et substantia extensa
una eademque est substantia, quae iam sub hoc, iam sub illo attributo
comprehenditur. Sic etiam modus extensionis et idea illius modi eademque
est res: sed duobus modis expressa.«
Eine und dieselbe Ordnung kommt
zweifach zum Ausdruck, objektiv und subjektiv, real und ideell (»ordo et
connexio idearum idem est, ac ordo et connexio rerum«; »quicquid ex infinita
Dei natura sequitur formaliter, id omne ex Dei idea eodem ordine eademque
connexione sequitur in Deo obiective«).
Die Verknüpfung und Ordnung der Dinge hat ihr Korrelat in
der Reihenfolge der Vorstellungen, insbesondere entspricht jedem körperlichen
Zustand ein psychischer. Allen Modi der Ausdehnung entsprechen Modi des
»Denkens«, alles kommt (in Gott) als Sache und als Idee derselben vor
(»cuiuscunque rei datur necessario in Deo idea«), so daß in diesem Sinne alles in
verschiedenem Grade beseelt ist (»diversis gradibus animata«).
Ein und dasselbe Individuum ist einerseits Körper,
anderseits Seele. Diese ist also keine Substanz (Aktualismus), sondern das
Bewußtsein des Organismus (»idea corporis«), aus den Vorstellungen des Körpers
(»idea corporis«) und seiner Affektionen durch andere Körper bestehend, also
etwas Zusammengesetztes (»ex pluribus ideis composita«). Die Seele handelt nach
bestimmten Gesetzen und ist gleichsam ein »geistiger Automat«. Das Selbstbewußtsein
besteht in der Idee des Geistes, welche in Gott mit dem Geiste ebenso vereinigt
ist, wie dieser mit dem Körper (»mentis humanae datur etiam in Deo idea sive
cognitio«; »haec mentis idea eodem modo unita est menti, ae ipsa mens unita est
corpori«). Diese Vorstellung vom Geiste selbst (»idea mentis«, »idea ideae«)
ist die Form des Geistes als solchen, ohne Beziehung auf dessen Objekte (»forma
ideae, quatenus haec ut modus cogitandi absque relatione ad obiectum
consideratur«), das Wissen um das eigene Wissen, während sonst die Seele sich
nur erkennt, soweit sie die Vorstellungen der Affektionen ihres Leibes erfaßt.
An diese Erörterungen knüpfen sich psychologisch-erkenntnistheoretische
Betrachtungen. Das menschliche Denken ist ein Modus des menschlichen Intellekts
und damit auch des göttlichen Denkens. Wir denken nun vermittelst der Ideen
(logische Vorstellungen, Gedanken, Begriffe, keine »imaginationes«,
Vorstellungsbilder), welche Gebilde des Denkens selbst sind, seiner Aktivität
entspringen (»conceptus actionem mentis exprimere videtur«) und schon Bejahung
oder Verneinung (»affirmationem aut negationem«) enthalten.
»Adäquat« (genau entsprechend) sind jene Ideen, welche alle
Merkmale der wahren Idee an sich haben und mit ihrem Gegenstande übereinstimmen
(»convenientia ideae cum suo ideato«).
Wahr ist jede Idee, welche in uns absolut, oder adäquat und
vollkommen ist. Eines äußern Kriteriums bedarf die Wahrheit nicht, sie bekundet
sich selbst und zugleich ihren Mangel, das Falsche, sowie das Licht sich selbst
und die Finsternis bekundet (»nemo, qui veram habet ideam, ignorat veram ideam summam
certitudinem involvere«; »sane sicut lux se ipsam et tenebras manifestat, sic
veritas norma sui et falsi«).
Die adäquate Idee ist in Gott als Substanz unseres Geistes
adäquat (»idea vera in nobis est illa, quae in Deo, quatenus per naturam mentis
humanae explicatur, est adaequata«). Was wir in Gott erkennen und auf Gott
beziehen, ist wahr.
Von der sinnlich-empirischen Erkenntnis (»opinio« oder
»imaginatio«) unter scheidet S. die Erkenntnis der Vernunft (»ratio«) und die
geistige Intuition des Wesens der Dinge (»scientia intuitiva«). Die imaginative
(vorstellungsmäßige) Erkenntnis erfaßt die Dinge als gesondert-einzelne und
zufällige, in der Zeit vergehende (Die Zeit ist nur ein »modus cogitandi«).
Die Vernunft erkennt durch allgemeine Begriffe das allgemeine,
konstante Wesen der Dinge, ihre Gesetzlichkeit und Notwendigkeit (»De natura
rationis non est res ut contingentes, sed ut necessarias contemplari«; »ut in
se sunt.«); insofern erkennt sie die Dinge als in Gottes ewigem Wesen wurzelnd,
in einer gewissen Ewigkeitsform (»sub quadam aeternitatis specie«).
Die intuitive Erkenntnis geht von der adäquaten Idee des
Wesens göttlicher Attribute zur adäquaten Erkenntnis des Wesens der Dinge (»ab
adaequata idea essentiae formalis quorundam Dei attributorum ad adaequatam
cognitionem essentiae rerum«). Sie erfasst die Dinge, wie sie zeitlos in Gott
liegen und aus dem göttlichen Wesen folgen, in ihrer ewigen Notwendigkeit (»sub
specie aeternitatis«: »Res duobus modis a nobis ut actuales concipiuntur, vel
quatenus eadem cum relatione ad certum tempus et locum existere, vel quatenus
ipsas in Deo contineri et ex naturae divinae necessitate consequi concipimus. Quae
autem hoc secundo modo ut verae seu reales concipiuntur, eas sub aeternitatis
specie concipimus, et earum ideae aeternam et infinitam Dei essentiam
involvunt«).
Während Descartes den Irrtum auf die Willensfreiheit
zurückführt, erblickt S. in jenem nur einen Mangel des Wahrheitsgehaltes, eine
»Privation«. Der Wille ist vom Intellekt nicht verschieden (»voluntas et intellectus
unum et idem est«), das Wollen eine Funktion des Intellekts, insofern Bejahung
und Verneinung im Gedanken selbst schon liegt (»quam idea, quatenus idea est,
involvit«). Auch gibt es keinen abstrakten, allgemeinen Willen, nur konkrete Wollungen
(»singulares volitiones«), d.h. einzelne Bejahungen oder Verneinungen. Gottes
Wille und Verstand sind eins. Wie aus Gottes Wesen alles notwendig folgt, so
sind auch unsere Willenshandlungen teils von außen, teils von innen
(psychologisch) determiniert, eine (absolute) Willensfreiheit besteht nicht, beruht
auf Einbildung. Der Wille des Menschen ist keine freie, sondern eine notwendige
Ursache (»causa necessaria«), er bedarf einer Ursache, durch die er bestimmt
wird und die selbst wieder ins Unendliche auf Ursachen zurückführt. Wir dünken
uns nur frei, weil wir uns oft der Beweggründe nicht bewußt sind: so könnte
aber auch ein geworfener Stein sich für frei halten.
Doch leugnet S. weder die psychologische, noch die ethische
Freiheit als Selbständigkeit. In diesem Sinne ist frei, wer sich von äußerem
Zwange und inneren Erregungen unabhängig macht, wer klar und deutlich erkennt
und dadurch aktiv sich verhält, wer seine Affekte beherrscht, sich durch die
Vernunft leiten läßt (»qui ratione ducitur«).
Beherrschung der Affekte, Streben nach Erhaltung des
wahrhaft menschlichen Seins, welches in der Vernunft liegt, vernunftgemäßes
Handeln - darauf zielt S.s Ethik hin, welche psychologisch fundiert ist und einen
teleologischen (energistisch-eudämonistischen) Charakter hat. Ähnlich wie die
Stoa geht S. von einer Untersuchung der Affekte (bzw. Leidenschaften) aus.
Der Affekt ist ein »verworrenes Bewußtsein« (»confusa
idea«), dessen Inhalt eine Affektion des Körpers ist, durch welche dessen Kraft
(Macht) gesteigert oder geschwächt wird (»corporis affectiones quibus ipsius corporis
agendi potentia augetur vel minuitur, iuvatur vel coërcetur, et simul harum
affectionum ideas«).
Zugleich wird durch den Affekt der Geist gefördert oder gehemmt.
Wir empfinden Lust (Freude, »laetitia«), wenn wir zu größerer Vollkommenheit
(»ad maiorem perfectionem«) fortschreiten, im gegenteiligen Falle aber Unlust
(Trauer, »tristitia«).
Dazu kommt als dritter Grundaffekt die Begierde
(»cupiditas«), der mit Bewußtsein verbundene Trieb (»appetitus cum eiusdem
conscientia«). Der Selbsterhaltungstrieb ist jedem Dinge eigen (»unaquaeque
res, quantum in se est, in suo esse perseverare conatur«), konstituiert dessen
innerstes Wesen (Ansatz zu einem Voluntarismus, wie er schon bei den Stoikern,
Telesius u.a. bestand und von Schopenhauer u.a. weitergebildet wurde). Nach
Erhaltung der eigenen Kraft, nach Steigerung der Macht (vgl. schon Hobbes) zu
streben, ist das Natürliche, Naturgemäße. Was unsere Kraft schwächt, wodurch
wir leiden, ist daher nicht gut, so z.B. das Mitleid als Affekt, der (nur) für
den vernünftigen Menschen unnötig ist (»commiseratio in homine, qui ex ductu
rationis vivit, per se mala et inutilis est«); er wird helfen, ohne sich zu
erregen, aus Vernunft und Menschlichkeit (vgl. Kant, Nietzsche). Auch die Reue
ist für den vernünftigen Menschen unnötig.
Auf das Streben bezieht sich das Gute. Gut ist etwas nicht
an sich, sondern als Objekt eines Begehrens (»quia id conamur, volumus,
appetimus atque cupimus«); das Gute liegt nicht schon in den Dingen, sondern
erst und nur in uns, es ist subjektiv und relativ (»bonum et malum quod
attinet, nihil etiam positivum in rebus, in se scilicet consideratis, iudicant,
nec aliud sunt praeter cogitandi modos seu notiones, quas formamus ex eo, quod
res ad invicem comparamus«).
Gleichwohl gibt es ein allgemeines, in diesem Sinne objektiv
Gutes, nämlich das für den Menschen wahrhaft Nützliche (»utile«), das die
menschlich-vernünftige Natur Erhaltende und Fördernde, dem Menschheitsideale
Dienende (»per bonum... intelligam id, quod certo scimus medium esse, ut ad exemplar
humanae naturae, quod nobis proponimus, magis magisque accedamus«;
idealistischer Perfektionismus).
Gut ist, was unsere Macht steigert. Die Macht unseres
Geistes liegt nun in der Vernunft, im wahren Erkennen, und so ist gut, was
unsere Erkenntnis fördert (»quod ad intelligendum re vera conducit, vel quod
impedire potest, quo minus intelligamus«). In dem Streben nach Erhaltung und
Förderung des vernünftigen Ichs besteht die Tugend (»virtus est ipsa humana
potentia, quae sola hominis essentia definitur, hoc est, quae solo conatu, quo
homo in suo esse perseverare conatur, definitur«). Tugendhaft Handeln ist eins
mit dem Handeln gemäß den Gesetzen der eigenen Natur (»ex legibus propriae
naturae agere«, ethische Autonomie), d.h. mit dem vernünftigen Handeln (»ex
ductu rationis agere«).
Der Sittliche ist aber kein reiner Egoist, sondern er
wünscht das Gute auch seinen Mitmenschen; zum Nützlichen gehört auch alles, was
zum harmonischen Gemeinschaftsleben beiträgt (»quae ad hominum communem
societatem conducunt, sive quae efficiunt, ut homines concorditer vivant,
utilia sunt«). Die Tugend selbst ist Glückseligkeit, diese ist kein Lohn, deren
jene bedarf (»beatitudo non est virtutis praemium, sed ipsa virtus«).
Affekte können (wie schon F. Bacon lehrt) nur durch Affekte
bekämpft werden, nicht durch den bloßen Intellekt. Soll also die Vernunft den
Menschen frei machen, ihn von der Knechtschaft (»servitus«), in die ihn seine
Affekte versetzen, erlösen, so muß die Erkenntnis von einem Gefühl begleitet
sein, welches den Affekten entgegenwirkt.
Diese Affekte, welche leidentliche Zustände (»passiones«)
der Seele sind, werden durch die Erkenntnis, daß alles in der Welt notwendig
aus dem Wesen der göttlichen Natur folgt, überwunden, der Geist wird Herr über
sie, wird aktiv.
Die klare und deutliche Erkenntnis des Bezogenseins aller
Dinge auf Gott als deren Einheit, zu der auch wirgehören, zeitigt ein reines,
aktives Gefühl der intellektuellen Liebe zu Gott (»amor Dei intellectualis«), die
das höchste Gut, das größte Glück bedeutet (»summum bonum est, quod ex
dictamine rationis appetere possumus«). Die intellektuelle Liebe knüpft sich an
die Betrachtung der Dinge »sub aeternitatis specie«, an die Erkenntnis Gottes,
sofern er ewig ist und sofern wir in ihm sind. Diese Liebe ist ewig, ist die
Liebe Gottes zu sich selbst in uns (»amor intellectualis est ipse Dei amor, quo
Deus se ipsum amat«), ein Teil der unendlichen Selbstliebe Gottes (»pars est infiniti
amoris, quo Deus se ipsum amat«). Wer Gott liebt, kann nicht verlangen, daß
Gott auch ihn (als Einzelnen) liebt. Aber Gottes Liebe zu sich ist zugleich
seine Liebe zu den Menschen. In der beständigen und ewigen Liebe zu Gott und
Gottes Liebe zu den Menschen, die eins sind, besteht unsere höchste Freiheit
und Seligkeit (»salus nostra seu beatitudo seu libertas«). Nichts kann diese
Liebe vernichten.
Sofern wir Geist sind, der Gott und alles, sich inbegriffen,
in ihm erkennt, sind wir unsterblich, d.h. zeitlos ewig, ohne daß wir als
Individuen mit Erinnerung weiterleben. Der menschliche Geist geht nicht mit dem
Körper unter, sondern das Ewige in ihm bleibt bestehen (»eius aliquid remanet,
quod aeternum est«); der Geist ist ewig, sofern er Ewiges denkt, an diesem Teil
hat, sofern das Wesen des ihm zugehörigen Körpers in Gott ewig zum Ausdruck
kommt (»in Deo datur necessario conceptus seu idea, quae corporis humani essentiam
exprimit«; »est... haec idea... certus cogitandi modus, qui ad mentis essentiam
pertinet quique necessario aetemus est«; »sentimus... mentem nostram, quatenus
corporis essentiam sub aeternitatis specie involvit, aeternam esse et hanc eius
existentiam tempore definiri sive per durationem explicari non posse«).
Die Rechts- und Staatsphilosophie S.s findet sich besonders
im »Tractatus theologico-politicus« und
im »Tractatus politicus«. Im
ersteren fordert S. religiöse Freiheit, überhaupt Gewissensfreiheit; er hält
Philosophie und Glauben scharf auseinander, insofern beide voneinander unabhängig
sein sollen.
Die Bibel will nicht Erkenntnisse vermitteln, sondern hat rein
religiös ethische Bedeutung. Auch ist S. schon ein Vorläufer der neueren
Bibel-Kritik.
Während S. im älteren Traktat die reine Demokratie verficht,
plädiert er im späteren für eine mehr aristokratische Form, ohne aber ein
Anhänger des von Hobbes verteidigten Absolutismus zu Sein. Die Menschen sind
von Natur Feinde (»ex natura hostes«), aber die Not des Lebens und die Furcht
vor Einsamkeit treibt sie zur bürgerlichen Gesellschaft (»statum civilem
homines natura appetere«).
Das Naturrecht (»ius naturae«) ist eins mit der Macht der
Natur, mit dem, was die Menschen ihrer Natur gemäß tun, die von Natur aus so viel
Recht zur Existenz und Wirksamkeit besitzen, als sie die Macht dazu haben. Im
Staate, der durch Vertrag entsteht, werden die Beziehungen der Menschen zueinander
vernünftig geregelt, damit Sicherheit und Frieden herrscht und die Wohlfahrt
aller gefördert wird.
S.s Lehren fanden zunächst meist heftige Gegner, so J. Thomasius, F. Rappolt, v.
Blyenburg, J. Musaeus, J. Vateler, Poiret, Bayle, Fénelon H. Horchius,
Kortholt, G. Wachter, Leibniz (der S. besucht hatte), Wolff, Jacobi (dessen
Streit mit Mendelssohn über den »Spinozismus« Lessings Anlaß zum Wandel in den
Anschauungen über S. gaben) u.a.
Anhänger S.s sind J. Jellis, Simon de Vries,
Cuffeler, Leenhoff, Stosch, zum Teil Tschirnhausen u.a. Von S. beeinflußt sind
in verschiedenem Maße und in verschiedener Weise Lessing, Herder, Goethe,
Schleiermacher, Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhauer u.a. (»Neospinozismus«),
ferner Fechner, E. v. Hartmann, Wundt, Spencer, Häckel, Steudel. J. Stern, Spir
u.a., auch van Vloten, Land, Betz u.a.
Zitiert aus :
Eisler: Philosophenlexikon, S. 1785 ff.Digitale Bibliothek
Band 3: Geschichte der Philosophie, S. 18717 (vgl. Eisler-Phil., S. 700 ff.)