Anorexia nervosa

 

Überblick und Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Exemplarische Krankengeschichte

3. Lexikalische Definition

4. Geschichte der Anorexia nervosa

5. Epidemiologie

5.1 Unterschiede bei den Geschlechtern

5.2 Risikogruppen

5.3 Die Epidemiologie in Zahlen

6. Deskription und Einteilung

7. Diagnose, Differentialdiagnose und charakteristischer Persönlichkeitstypus

7.1 Diagnostische Kriterien des DSM IV

7.2 Einwände gegen die diagnostischen Kriterien nach DSM IV

7.3 Diagnose nach dem ICD-10

7.4 Differentialdiagnose

8. Symptomatologie

8.1 Allgemeine Merkmale

8.2 Somatische Symptomatologie

8.3 Psychische Symptomatologie

9. Ätiologie und Genese

9.1 Psychophysiologie

9.2 Angeborene Disposition und frühkindliche Entwicklung

9.3 Familiäre Disposition

9.4 Prämorbide Persönlichkeitsstruktur

9.5 Lebenssituation zur Zeit der Krankheitsmanifestation

9.6 Psychodynamik

9.7 Zusammenfassung

10. Therapie und Verlauf

10.1 Kriterien der stationären Behandlung

10.2 Ambulante Therapie

10.3 Stationäre Therapie

11. Verhaltensmedizinischer Therapieansatz der Klinik Roseneck nach Prof. Fichter

11.1 Die Diagnose als Ausgangspunkt

11.2 Der Therapiebeginn

11.3 Die Anpassung des weiteren Therapieverlaufs

11.4 Zentrale Institutionen

11.5 Das therapeutische Angebot

11.6 Behandlungserfolg

 

 

1. Einleitung

Die Anorexia nervosa zählt zu den Eßstörungen, die sich durch eine intensive Furcht vor einer Gewichtszunahme und eine Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers kennzeichnen. Weitere spezifische Merkmale sind erheblicher Gewichtsverlust und Amenorrhoe.

Das Krankheitsbild der Anorexia nervosa tritt im allgemeinen erstmals bei pubertierenden Mädchen auf. Oft hat diese Erkrankung gravierende sekundäre somatische Veränderungen mit Krankheitswert zur Folge.

Für die Ätiologie der Anorexia nervosa  werden verschiedene Faktoren diskutiert. Bisher wurde noch keine einheitliche Theorie entwickelt.

 

Die Therapie beginnt bei Anorektikerinnen meistens mit dem primären Ziel der Gewichtszunahme, um einen lebensbedrohlichen Gewichtsverlust auszugleichen. Danach stehen bei beiden Störungen vor allem eine Anleitung zur Normalisierung des Eßverhaltens durch verhaltenstherapeutische und psychoanalytische Verfahren im Mittelpunkt.

Abzugrenzen sind Krankheitsbilder der Bulimia nervosa und Adipositas (Fettsucht). Patientinnen mit Bulimie sind in aller Regel normal- oder leicht übergewichtig. Merkmale der Bulimie sind Heißhungerattacken, gefolgt von selbstinduziertem Erbrechen, um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken.

Eine mögliche Definition der Adipositas nennt als Kernsymptom das Übersteigen des Anteils des Fettgewebes am Körpergewicht von 20% beim Mann und 24% bei der Frau. Allgemeiner Grund der Gewichtszunahme ist eine Störung der Energiebilanz durch übermäßige Kalorienzufuhr. Mögliche Ursachen sind eine Steigerung des Hungerempfindens bzw. eine Verminderung des Sättigungsgefühls.

 

 

2. Exemplarische Krankengeschichte

„Die 18jährige Franziska kommt erst zur Aufnahme in die Klinik, nachdem sie zunehmend unter Schwächeanfällen litt, bei der Aufnahme wiegt sie 41kg bei einer Größe von 172cm.

Die stark abgemagerte Patientin wirkt im Gespräch sehr gehemmt: sie hält ihre Schultern hochgezogen, den Kopf schief. Der Untersucher wird bei der Betrachtung ihres hübschen und klaren Gesichts durch eine alte Narbe und durch ticartige Bewegungen des Kopfes irritiert. Die Patientin äußert sich kaum spontan, im Interview verhält sie sich passiv-reaktiv; ihre Antworten wirken hinhaltend-abwehrend, ihre Mitteilungen intellektualisierend.

Die Patientin ist das mittlere von fünf Kindern. Ihre Mutter arbeitet als Kindergärtnerin, der Vater ist mittlerer Angestellter. Aus ihrer Kindheit wird berichtet, daß sie als „extrem braves Musterkind“ beispielhaft bei Verwandten herumgereicht wurde. Allerdings habe es bei bestimmten Speisen schon immer Essenschwierigkeiten gegeben, z.B. bei Reis, Sago, Joghurt, Milch. Die Beziehungen in der Familie werden als ständig gespannt geschildert: zum Vater war es schwierig, überhaupt eine engere Beziehung herzustellen; zur Mutter war die Beziehung zwar enger, doch konnte Franziska auch mit ihr kaum über gefühlsmäßige Probleme sprechen. Die Mutter übte Kontrolle aus, indem sie Schuldgefühle erzeugte; sie kommunizierte mit Franziska vorwiegend „analog“, weniger "digital", das heißt es wurde in der Kommunikation weniger direkt verbalisiert als indirekt durch bestimmte Haltungen, Gesten, feste Gebräuche etwas ausgedrückt oder mitgeteilt. Auch sonst erscheint die Kommunikation innerhalb der Familie eingeschränkt; die Patientin spielt hierbei eine besondere Rolle: sie erlebt sich als „Informationsvermittlerin“ zwischen den Eltern. Aus der Zeit vor der Krankheitsmanifestation berichtet die Patientin von einigen äußeren und inneren Belastungen. Zunächst zog die Familie um, sie selbst mußte die Schule wechseln und verlor damit ihren Freundeskreis. Ein Jahr vor der Krankheitsmanifestation erkrankte die Großmutter, bei der Franziska als Kind zeitweise gelebt hatte an einem Karzinom. Die dann im Haus lebende Großmutter starb schließlich unter dem Bild einer Tumorkachexie ein Jahr vor der stationären Aufnahme der Patientin. Franziska hat das Bild der Abmagerung und Auszehrung bei der Großmutter sowie deren durch die Krankheit neu gewonnene Fähigkeit, vieles in der Familie zu bestimmen, sehr beschäftigt. Im Zusammenhang mit dem Tod der Großmutter begann Franziska erstmals, ihr Gewicht genauer zu kontrollieren. Neun Monate vor der Klinikaufnahme nahm die Mutter ihre Berufstätigkeit wieder auf, wodurch sich die häuslichen Gewohnheiten veränderten: die Versorgung durch die Mutter nahm ab, Franziska wurde stärker im Haushalt beansprucht. Jetzt begann die erste stärkere Gewichtsabnahme (Ausgangsgewicht 60 kg). Sechs Monate vor der Klinikaufnahme, bei einem Gewicht von 53 kg, sistierten die Menses (Menarche mit 13 Jahren). Vier Monate vor Klinikeintritt wurde die Gewichtsabnahme während eines Landschulaufenthaltes erneut stärker; Franziska erlebte diesen Landschulaufenthalt als Versuchungssituation, der sie nicht gewachsen war: heftige Ängste vor Kontrollverlust (Alkohol, Sexualität) und als Reaktion hierauf Rückzug aus der Gemeinschaft kennzeichneten ihr Erleben und Verhalten. Ärztliche Behandlung wurde zunächst wegen der Amenorrhoe in Anspruch genommen; stationäre Aufnahme erfolgte jedoch erst, als Schlaflosigkeit und zunehmende Schwäche dazu geführt hatten, daß sie auch in der Schule kaum mehr mitarbeiten konnte.

Innerhalb der psychologischen Symptomatik stand vor allem eine auffallende Verleugnung des Krankheitszustandes im Vordergrund. Die Patientin erlebte sich weder als zu mager noch irgendwie als krank; sie selbst wollte nur kurzdauernde Hilfe für ihre Schwächeanfälle in Anspruch nehmen. Trotz des reduzierten Allgemeinzustandes fiel ihre motorische Aktivität auf: bis zuletzt hatte sie ausgedehnte Spaziergänge unternommen, war schwimmen gegangen und hatte im Rahmen ihres Putzzwanges zu Hause unter großer Anstrengung die ganze Wohnung gesäubert; schon nach wenigen Tagen Klinikaufenthalt bestieg sie das Ulmer Münster. Bemerkenswert was auch ihr enormer Leistungsanspruch: Trotz Schulwechsel was sie nach einem halben Jahr wieder Zweitbeste der Klasse und wehrte sich gegen eine längere stationäre Behandlung auch aus der Angst heraus, in der Schule ins Hintertreffen zu kommen.

Charakteristisch war ihr Eßverhalten: sie bevorzugte kalorienarme Speisen; obwohl sie unter starken, ständig spürbaren Hungergefühlen litt und den ganzen Tag über fast ausschließlich mit Vorstellungen vom Essen beschäftigt war, entwickelte sie schon nach dem Essen nur geringster Nahrungsmengen Schuldgefühle, die mit monotonen Selbstanklagen einhergingen: "Mußte das denn wieder sein?'. oder "Das wäre doch nicht nötig gewesen". Hungrig bewegte sie sich oft stundenlang um den Eisschrank herum, um schließlich eine halbe saure Gurke zu sich zu nehmen und danach wieder tiefe Schuldgefühle zu empfinden. In der Absicht, das Gegessene wieder aus dem Körper zu entfernen, gebrauchte sie regelmäßig Laxantien.

Franziska war besessen von der Vorstellung, zuviel Raum einzunehmen und dadurch „angreifbar“ zu werden. In diesem Zusammenhang entwickelte sie eine Lieblingsvorstellung: bei vollständigem Verzicht auf das Essen könne sie so leicht und frei werden, daß sie schweben könne. Das Essen rief auch deshalb Angst bei ihr hervor, weil es ihrer Vorstellung zufolge bei ihr „im Busen“ verschwand und sie befürchtete, dann wieder den spöttischen Bemerkungen ihrer Mitschüler ausgeliefert zu sein. Ihre Körperoberfläche erlebte sie als so porös, daß beispielsweise grelle Farben oder laute Geräusche direkt in sie eindringen könnten. Während des Höhepunktes der Erkrankung konnte sie deshalb zum Beispiel keine Musik mehr hören.“[1]


 

[1] UEXKÜLL, Thure von: Psychosomatische Medizin, 601

 

 

3. Lexikalische Definition

 

Im Standardwerk „Lexikon Medizin“ findet sich für die Anorexia und Anorexia nervosa folgende Definition: „Anorexia, Anorexie, Asitie: Verlust des Nahrungstriebes; auch Appetitlosigkeit, Magersucht. Mit - seltenen - Ausnahmen (z.B. als Symptom von Hypothalamusläsionen) als A. nervosa. - A. nervosa: psych durch extremen Gewichtsverlust, Körperschemastörungen u. massive Furcht vor Gewichtszunahme geprägte A., die in ca. 10% der Fälle zu tödlicher Kachexie [Anm.: allgemeine Atrophie des Organismus] führt. Betroffen sind fast ausschließlich junge Frauen (12.-30. Lj.; allgemein wird eine zunehmende Inzidenzrate beobachtet). Als wesentliche psychische Ursache werden Störungen der Geschlechtsidentifikation u. der Autonomieentwicklung im Rahmen einer pathogenen Familiendynamik angenommen. - Bedarf in Extremfällen der Sondenernährung. Bewährt haben sich - neben psychoanalytischer Gruppen- oder Einzeltherapie - in zunehmendem Maße verhaltens- u. familientherapeutische Interventionen.“[1]


 

[1] TUTSCH u.a.: Lexikon der Medizin, Stichwort „Anorexie“, 76

 

 

4. Geschichte der Anorexia Nervosa

 

Eine erste Beschreibung des Krankheitsbildes Anorexia nervosa findet sich im Mittelalter. Bei der Erkrankten handelt es sich um die 1245 geborenen Prinzessin Margaret von Ungarn.

Die Uni-Kinderklinik Graz berichtet dazu in ihrem Therapiekonzept. Prinzessin Margaret „wurde von ihrem Vater aufgrund eines Gelübdes Nonnen zur Erziehung übergeben, später änderte er seine Absichten und wollte sie mit einem geeigneten Thronnachfolger verheiraten. Margaret bemühte sich dann, sich so unattraktiv wie möglich zu machen. Sie begann zu fasten und arbeitete bis zur Erschöpfung. Im Refektorium bediente sie die anderen, und fastete selbst, während ihre Mitschwestern aßen. Ihr Körper wurde bald als armselig beschrieben, sie starb schließlich im Alter von 26 Jahren. Aus den erhaltenen Unterlagen geht ihr Fasten, ihre Weigerung, das Körpergewicht im Normalbereich zu halten sowie die Kombination von Überaktivität mit extremer Magerkeit als eindrucksvolle historische Dokumentation der diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa hervor.“[1]


 

[1] TROJOWSKI, Alex: Therapieansatz der Uni-Kinderklinik Graz

 

 

5. Epidemiologie

 

Die am häufigsten betroffene Gruppe sind Frauen in der frühen Adoleszenz. Ob sie überwiegend aus höheren sozioökonomischen Schichten kommen, ist umstritten. Sie haben meist keine Krankheitseinsicht, so daß es schwierig ist, sie zur Therapie zu motivieren.

 

5.1 Unterschiede bei den Geschlechtern

Nach einer Vielzahl von Studien sind ca. 90 % aller Magersüchtigen weiblich (Crisp u. Toms 1972; Hogan, Huerta und Lucas 1974; Anderson und Mickalide 1983).[1]

Eine Studie von Garner, Olmstead und Polivy ergab, daß auch normalgewichtige Frauen häufiger als Männer zu unzufriedenen Selbstbeurteilung in Bezug auf ihr Gewicht neigen.[2]

Ähnliches belegt eine Studie von Fallon und Rozin. Frauen schätzen ihre Idealfigur und die Figur, die auch Männer attraktiv finden, wesentlich dünner ein als die Männer tun.[3]

Dies bestätigt die Tatsache, daß mehr Frauen als Männer zur Anorexie neigen. Whitaker konnte im Jahre 1990 in einer als zuverlässig geltenden Studie eine Prävalenzrate von 0,3% für junge Frauen der Klassen von 9 bis 12 feststellen.[4] Bei gleichaltrigen Männern fand sich keine Symptomatik einer Eßstörung. Man muß anmerken, daß die Prävalenzraten je nach Strenge der angewandte Kriterien z.T. erheblich schwanken können und die genannte Zahl von Whitaker somit nur einen Anhaltspunkt darstellen kann.

 

5.2 Risikogruppen

Es gibt bestimmte Risikogruppen mit besonders hohen Prävalenzraten, z.B. Models oder Ballettschülerinnen. In diesen Gruppen kann sich die Prävalenz auf 5 bis 7 Prozent erhöhen. Dazu wurde von Garfinkel im Jahre 1991 eine Tabelle mit Risikofaktoren für eine Eßstörung entwickelt:[5]

- Alter (v.a. Pubertät)
- weibliches Geschlecht
- hoher Schlankheitsdruck (z.B. Models, Ballettschülerinnen)
- hoher Leistungsdruck (z.B. Medizinstudentinnen)
- mangelnde Fähigkeit der Wahrnehmung des eigenen Gefühlsausdrucks
- familiäre Konfliktsituation, v.a. gekennzeichnet durch zu enge Beziehungen
- frühe Pubertät
- Zwilling
- insulinabhängiger Diabetes mellitus

 

5.3 Die Epidemiologie in Zahlen

Die Epidemiologie der Anorexia nervosa ist auf Entwicklungen über längere Zeiträume noch relativ unerforscht. Es herrscht z.B. Uneinigkeit darüber, ob die Inzidenz tatsächlich angestiegen ist oder nur die Behandlungsinanspruchnahme.

Bei Betrachtung einer Reihe von Studien zur Erkrankungsinzidenz läßt sich für die westlichen Zivilisationen Zahlen von 0,2 (Theander 1970; Schweden) bis 1,6 (Kendall 1973; England) pro 100000 Einwohner bzw. 50 bis 75 Pat. pro 100000 Personen im Alter von 15 bis 25 Jahren feststellen.[6]

Studien von Schwarz ergaben, daß eine von 450 bis 750 Frauen lebenslang die Symptomatik der Anorexia nervosa aufweist.[7]

 

[1] HERZOG, MUNZ, KÄCHLE: Analytische Psychotherapie bei Eßstörungen, S.58

[2] DAVISON/NEALE: Klinische Psychologie, 517f.

[3] DAVISON/NEALE, 518f.

[4] HERPERTZ-DAHLMANN/REMSCHMIDT: Anorexia und Bulimia nervosa im Jugendalter

   in: Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 17, A-1210

[5] HERPERTZ-DAHLMANN/REMSCHMIDT, A-1214

[6] UEXKÜLL, 611

[7] UEXKÜLL, 610

 

6. Deskription und Einteilung

 

Der ICD-10 verzeichnet im Bereich „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“[1] (F50-F59) unter F50 Eßstörungen. Die wichtigsten Syndrome dieses Oberbegriffs sind Anorexia nervosa und Bulimia nervosa.

 

Vom Bereich der Anorexia nervosa (F50.0) sind Anorexia o.a.A. (R63.0) (=allgem. Appetitverlust), Fütterschwierigkeiten und Betreuungsfehler (R63.3), Fütterstörung im Kleinkind- und Kindesalter (F98.2) und Pica im Kindesalter (F98.3) ausgeschlossen.

Unter F50.0 findet sich folgende Deskription des Syndroms Anorexia nervosa.

„Die Anorexia ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. [...] Die Anorexia nervosa stellt in folgender Hinsicht ein eigenständiges Syndrom dar:

1.        Die klinischen Merkmale des Syndroms sind leicht erkennbar, so daß die Diagnose mit einem hohen Grad an Übereinstimmung zwischen verschiedenen Klinikern zuverlässig gestellt werden kann.

2.        Verlaufsstudien  haben gezeigt, daß eine beträchtliche Anzahl nicht remittierender Patienten Hauptmerkmale der Anorexia nervosa weiter in einer chronischen Form aufweisen.
 

Obwohl die Ursachen der Anorexia nervosa noch wenig faßbar sind, wächst die Überzeugung, daß vor allem eine Interaktion soziokultureller und biologischer Faktoren, sowie auch unspezifische psychologische Mechanismen und die Vulnerabilität der Persönlichkeit eine Rolle spielen. Mit der Erkrankung ist eine Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades verbunden, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen sowie anderen körperlichen Funktionsstörungen führt. Es bleiben einige Zweifel, ob die charakteristische endokrine Störung durch die Unterernährung und als direkte Folge der verschiedenen zugrundeliegenden Verhaltensweisen [...] aufzufassen ist, oder ob noch ungeklärte Faktoren eine Rolle spielen.“[2]

Halmi nahm 1983 eine Einteilung der Anorexia nervosa in zwei Gruppen vor, die auch im derzeit gültigen ICD-10 noch verwandt werden.

Danach gibt es den „passiv restriktiven Typ“[3], bei dem die Patientin die Gewichtsabnahme vorwiegend durch Fasten, d.h. ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme, erreicht hat. Dieser Typ gliedert sich heute in drei Untergruppen: die asketische Form, passive Form und die restriktive Form.

Der „aktive Typ“[4] kennzeichnet sich durch gezielte Auswahl von kalorienarmen Speisen und selbst induziertes Erbrechen. Dazu gehören die sog. aktive Form der Anorexie und die bulimische Form.

Unter F50.1 wird die atypische Anorexia nervosa klassifiziert.

„Diese Diagnose soll für Patientinnen verwendet werden, bei denen ein oder mehr Kernmerkmale der Anorexia nervosa (F50.0), z.B. Amenorrhoe oder signifikanter Gewichtsverlust fehlen, bei ansonsten ziemlich typischen klinischen Bild. Solche Patientinnen werden gewöhnlich in psychiatrischen Liasondiensten in Allgemeinkrankenhäusern oder in der Primärversorgung angetroffen. Patientinnen, die alle Kernsymptome in einer leichten Ausprägung aufweisen, werden ebenfalls am besten mit der Diagnose beschrieben. Diese Kategorie ist nicht für anorexieähnliche Eßstörungen zu verwenden, die auf einer bekannten körperlichen Krankheit beruhen.“[5]

 

[1] DILLING/MOMBOUR/SCHMIDT (Hrsg.): ICD-10 Kapitel V (F); Bern, Göttigen, Toronto, Seattle 1993, 199

[2] DILLING/MOMBOUR/SCHMIDT, 199f.

[3] AHRENS, Stephan: Lehrbuch der psychotherapeutischen Medizin, 457

[4] ebd.

[5] DILLING/MOMBOUR/SCHMIDT, 201f.

 

7. Diagnose, Differentialdiagnose und charakteristischer Persönlichkeitstypus

 

7.1 Diagnostische Kriterien des DSM IV

Das amerikanische Diagnostische Statistische Handbuch der psychischen Krankheiten (DSM IV) nennt vor allem vier Kriterien für die Diagnose:

- Gewichtsabnahme auf unter 85 % des altersgemäßen Gewichts

- Große Furcht vor Gewichtszunahme

- Verzerrte Körperwahrnehmung

- Ausbleiben der Regel (Amenorrhoe)

 

7.2 Einwände gegen die diagnostischen Kriterien nach DSM IV

Kritiker geben zu bedenken, daß Gewichtsabnahme und Amenorrhoe infolge des Hungerzustandes als sekundäres Erscheinungsmerkmal auftreten. Eine primäre Amenorrhoe stelle jedoch Halmi (1974) in 50-70% der Fälle fest, Frahms (1983) in 25-50% der Fälle.[1]

Zudem werden die anderen Kriterien nicht von allen Anorektikerinnen erfüllt. Es wird deshalb eine neue Definition der Krankheit gefordert, in der die beiden Verhaltensauffälligkeiten als Kernsymptome angesehen werden, die Magersüchtige von anderen Kranken unterscheiden: das Sich-Selbst-Aushungern verbunden mit gesteigerter körperlicher Aktivität.

Sehr organisch betonte Krankheitsauffassungen sehen im Mittelpunkt den „Trias“, der sich durch „Abmagerung, Amenorrhoe, Obstipation“[2] kennzeichnet.

7.3 Diagnose nach dem ICD-10

Der ICD-10 nennt folgende diagnostische Leitlinien:

- Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15% unter dem erwarteten oder ein Quetelets-Index[3] von 17,5 oder weniger

- Gewichtsverlust selbst herbeigeführt

- Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung

- Endokrine Störung auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse

- Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die pubertäre Entwicklung verzögert.

- Verspätetes Eintreten der Menarche.

 

7.4 Differentialdiagnose

Differentialdignostisch sind von der Anorexia nervosa Zwangsstörungen, bipolare Störungen und Persönlichkeitsstörungen abzugrenzen. Vor allem Persönlichkeitsstörungen (z.B. histrionische) und Depressionen treten gehäuft in Kombination mit der Anorexia nervosa auf.

Bruch interpretiert die Komorbidität der Anorexia nervosa und der Depression als Kompensationsfaktor. Die Patientin könnte beabsichtigen, „ihre depressiven Gefühle dadurch [zu] kompensieren, indem sie versucht, schlank und begehrenswert zu werden.“[4]

[1] UEXKÜLL, 603

[2] UEXKÜLL, 604

[3] Quetelets-Index: = w/h² ;    w= Körpergewicht in kg, h= Körpergröße in m

[4] DAVISON/NEALE, 521

 

8. Symptomatologie

Die Symptomatik der Anorexie stellt sich auf Grund ihrer Komplexität sehr umfangreich dar.

 

8.1 Allgemeine Merkmale

1.      Schwerer Appetitverlust (=Anorexie), der auf emotionale Gründe zurückzuführen ist (=nervosa) und Untergewicht zur Folge hat.
Achenbach wendet dazu ein, der Begriff „Anorexie“ ist eine Fehlbezeichnung, weil Anorektiker zunächst nicht an einer Appetitstörung leiden, sondern gewillt sind, ein Minimalgewicht aufrechtzuerhalten.[1] Im Mittelpunkt steht die starke Angst vor einer Gewichtszunahme. Patientinnen unterschreiten deshalb oft ein Gewicht von 30kg, manchmal auch von 25kg.

2.      Störung des Eßverhaltens und ungewöhnliche Eßgewohnheiten
Die Patientinnen stellen ihrem Körper zu wenig Energie zur Verfügung. Das erreichen sie durch Auslassen von Mahlzeiten, Auswahl kalorienarmer Speisen, Mißbrauch von Laxantien zur Verhinderung der Resorption der Nahrung und selbstinduziertes Erbrechen. An letzterem Symptom wird die enge Verflochtenheit der Anorexie und Bulimie deutlich, weshalb man auch oft von Bulimarexie spricht.
Die Eßgewohnheiten werden ritualisiert. Die Patientinnen brauchen dadurch sehr lange, um eine kleine Nahrungsmenge zu sich zu nehmen. Der Effekt ist, daß die Erkrankte beim gemeinsamen Essen in der Familie insgesamt weniger Nahrung aufnimmt. Bei Kritik durch Eltern usw. wird schließlich ein gemeinsames Essen in der Familie verweigert.
Die Patientin versucht, eine vollständige Kontrolle über die Nahrungsaufnahme durch Erstellen von Plänen und Kalorienstrategien zu bekommen.

3.      Im Verhältnis zur Körperkonstitution extremes körperliches Training
Die Patientinnen bringen trotz ihrer schwachen körperlichen Konstitution immense Energien für ein körperliches Training auf. Dadurch wird dem Körper oft lebensnotwendige Energie entzogen.

4.      Amenorrhoe

5.      Keine Krankheitseinsicht


 

8.2 Somatische Symptomatologie

Im Gefolge entstehen physiologische Störungen, die oft nie mehr wiedergutzumachen sind.

Eine Remission bleibt bei ca. 25% der Fälle auch über einen Zeitraum von zwei Jahren aus.[2]

1.      Äußere Merkmale
Äußerlich führt die Unterernährung zu schuppiger, trockener Haut, Akrozyanose, feines, dünnes Haar in Gesicht und Nacken (Lanugobehaarung), Haarausfall, brüchigen Fingernägeln und gelblicher Haut.

2.      Medizinisch bedeutsame Merkmale bzw. Komorbidität
Hierunter finden sich Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Obstipation, Asthenie, niedrige Körpertemperatur, Hypertrophie der Speicheldrüsen, verzögerte Magenentleerung, Ödeme und Polyurie. Irreversibel ist Minderwuchs auf Grund von Mangelernährung.

3.      Verändertes Labor
Die Laboruntersuchung ergibt bei Anorektikerinnen oft hormonelles Ungleichgewicht (erhöhtes CRH und GH (=Wachstumshormon) und Cortisol, erniedrigtes LH und FSH) sowie Blutbildveränderungen (Anämien, Leukopenien), Elektrolytstörungen, erhöhte Leberenzym- und niedrige Nüchternblutzuckerwerte.

4.      Spätfolgen
Durch Herzschäden kann es zum plötzlichen Tod kommen. Weitere Spätfolgen sind chronische Magen- und Verdauungsprobleme (z.B. Ösophagitis), CT-Veränderungen (z.B. Pseudoatrophia cerebri) sowie Osteoporose durch verminderte Ca++-Zufuhr.

 

8.3 Psychische Symptomatologie

Signifikant sind die verschiedenen psychischen Symptome, die im Rahmen der Anorexia nervosa auftreten können.

1.      Körperschemastörung
Ein wesentliches Merkmal, mit dem auch viele therapeutische Ansätze arbeiten, ist die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers. Dieses Kernsymptom der Psychopathologie wurde vor allem von Bruch untersucht. Bruch sieht „diese vollständige Verleugnung des ausgehungerten Äußeren“ als „ein kennzeichnendes Symptom der echten Anorexia nervosa[3]. Folgendes Beispiel ist eindrucksvoll:
Ein anderes Mädchen, 19 Jahre alt, das ebenfalls gute Fortschritte in der Therapie machte, zeigte ihrem Arzt zwei Fotografien, die am Strand gemacht worden waren; auf der einen war sie 15 Jahre und normalgewichtig, auf der anderen 17 Jahre alt, und sie wog nur 31 kg. Sie fragte ihn, ob er einen Unterschied sehe, und räumte ein, daß sie nur schwer einen erkennen könne, obgleich sie wisse, daß es einen gebe, und versucht habe, das zu korrigieren. Wenn sie in den Spiegel schaue, könne sie manchmal sehen, daß sie zu dünn sei. >>Aber ich kann das nicht festhalten.<< Sie mochte sich eine Stunde lang daran erinnern, doch dann fühlte sie sich erneut zu dick.“[4]
Um den Patienten die Möglichkeit zur realen Einschätzung ihres Körpers wiederzugeben werden v.a. projektive Verfahren, Selbsteinschätzung über Fragebögen und Vergleich von Schätzungen von Körperdimensionen mit den Realdimensionen durchgeführt. Die praktische Durchführung beruht z.B. auf dem Zeichnen von Selbstbildnissen in Originalgröße, die dann mit den tatsächlich existierenden Körperabmessungen verglichen werden.
Patienten mit besonders starken Störungen des „body image“ haben schlechtere Prognose für dauerhafte Heilung (Slade und Russel 1973).
Obwohl die Körperschemastörung eine bedeutsames Symptom ist, kommt diesem keine ausreichende Spezifität zu, da auch bei normalgewichtigen und adipösen Frauen Körperfehleinschätzungen auftreten können.

2.      Gewichtsphobie
Die Anorexia nervosa hat ihren Grund nicht im Desinteresse am eigenen Körper. Im Gegenteil beschäftigen sich Anorektiker ausgiebig mit dem eigenen Spiegelbild. Hintergrund ist eine panische Angst vor dem Dicksein.

3.      Übermäßige Beschäftigung mit dem Thema Essen
Trotzdem haben Anorektikerinnen oft das Lieblingsthema Essen. Sie beschäftigen sich mit Rezepten oder mit dem Kochen von Mahlzeiten mit vielen Gängen, die andere essen müssen. Die Anorektikerin selbst hingegen leugnet jegliches Hungergefühl.

4.      Psychopathologische Auffällgkeiten im Wechsel
Das Krankheitsbild ist sehr oft von Hyperaktivität geprägt. Das zeigt sich in extremer Leistungsorientierung und nicht selten in der Entwicklung von Zwängen (z.B. Putzzwang). Diese Hyperaktivität wird nach analytischem Verständnis als Triebabwehr interpretiert.
Durch die übermäßig Betätigung verlieren die Patientinnen weiter an Gewicht. Jedoch trägt das „klinische Bild [...] wechselnde Akzente, z.B. eine stärkere Betonung von jeweils Diät, Hyperaktivität und Erbrechen als Methode der Gewichtsreduktion“[5]

5.      Bedürfnis nach Autonomie
Die Patientinnen stellen ihre Unabhängigkeit von körperlichen Bedürfnissen gerne zur Schau. Deswegen haben viele Patientinnen abnorme Eßgewohnheiten entwickelt, wie z.B. heimliches Essen nachts in der Vorratskammer.
Auch dies wird im Zusammenhang mit einer Abwehr der zunehmenden körperlichen Schwäche und der Angst vor einem „Triebdurchbruch“ wie z.B. Essen interpretiert.

6.      Störung der sozialen Kompetenz
Die Patienten sind oft kontaktgestört. Hintergrund ist eine ausgeprägte Selbstwertproblematik, die nicht selten mit arroganter Überheblichkeit oder Selbstisolation zu kompensieren versucht wird. Es ist möglich, daß die Fähigkeit zu emotionalem Verhalten eingeschränkt ist.
„Später konnte sie hierzu folgende Phantasie mitteilen und in der Stationsgruppe darstellen: sie sitze in einem Glashaus, das sie von den anderen isoliere; genüßlich warte sie darauf, daß sich die anderen bei dem Versuch, sich ihr zu nähern, die Hände zerschneiden würden.“[6]

7.      Weitere sekundäre psychische Störungen
Sehr oft entwickeln die Patientinnen depressive Verstimmungen. Eine histrionische Persönlichkeitsstuktur zeigt sich signifikant häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt.

 

[1] DAVISON/NEALE, 517

[2] DAVISON/NEALE, 517

[3] BRUCH, Hilde: Eßstörungen, 118

[4] BRUCH, 118

[5] REMSCHMIDT/SCHMIDT, 182

[6] UEXKÜLL, 606

 

9. Ätiologie und Genese

 

Bis heute gibt es noch kein einheitliches Verständniskonzept für die Anorexia nervosa. Deshalb soll im Rahmen dieser Arbeit durch Betrachtung einer Vielfalt an ätiologischen Konzepten ein möglichst umfassendes Bild der Ätiologie und Genese entstehen.

Man nimmt an, daß die Genese der Eßstörung vor allem durch Zusammenwirken biologischer, kultureller, familiärer, somatischer und psychischer Faktoren entsteht.

Im folgenden werden für das Verständnis der Ätiologie und Genese verschiedene Faktoren beleuchtet.[1]

 

9.1 Psychophysiologie
Viele pathophysiologische Veränderungen können als Folge der Mangelernährung aufgefaßt werden. Jedoch liefert ein derartiger Ansatz keine vollständige Erklärung.
Fachrichtungen wie die Psychoneuroendokrinologie nehmen Störungen auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse an, um Störungen wie z.B. Hypothermie und Schlafstörungen zu erklären. Die Amenorrhoe kommt durch Veränderung von LH und FSH-Spiegeln und –tagesrhythmen zustande. Der Gewichtsverlust erklärt aber nur zu 50% die Verschiebung der Werte für FSH und LH. Dieses Faktum stützt die These der „primären Amenorrhoe“ (Halmi, Frahms)[2].
Störungen des Hypothal-Hypophysen-Schilddrüsen-Kreises erklären Verminderung der Tyroxin (T3)-Produktion, um Energieverbrauch des Körpers zu minimieren. Dadurch wird  der Grundumsatz des Körpers erniedrigt. Im Gefolge können Bradykardie und trockene Haut entstehen. Weitere Forschungen wurden im Funktionskreis Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere durchgeführt, der insgesamt eine erhöhte Funktion aufweist.

 

9.2 Angeborene Disposition und frühkindliche Entwicklung
Nach psychoanalytischen Gesichtspunkten ist die Krankheit als Störung der innerseelischen Entwicklung in der frühen Kindheit aufzufassen. Als Besonderheiten für die Disposition des Kindes gilt z.B. Übergewicht im Säuglingsalter, da diese ihre Eßgewohnheiten stärker als normalgewichtige von der Bezugsperson abhängig machen. Es kann für Eltern schwierig sein, auf die Eßbedürfnisse des Kindes richtig einzugehen.

9.3 Familiäre Disposition
Es zeigen sich besonders massive, innerfamiliäre Spannungen mit gestörten Beziehungsverhältnissen bei der Untersuchung von Anorektikerinnen. Diese Beziehungsstörungen werden nicht -wie man zunächst meinen könnte- als reine Krankheitsfolge interpretiert. Vielmehr wurde die Theorie entwickelt, daß die Magersucht eines Familienmitglieds zur Aufrechterhaltung eines gestörten Gleichgewichts in der Familie notwendig ist. Nicht selten erkrankt ein anderes Familienmitglied, wenn sich die Patientin von der Familiensituation trennt oder in der Therapie Fortschritte macht.
Man spricht deshalb auch von einer „Magersuchtsfamilie“[3]. Diese läßt sich durch ausgeprägte Rollenverteilung und eine „eigentümliche Familienideologie“[4] kennzeichnen. Die gestörte Rollenverteilung ist durch starke Dominanz eines (meist weiblichen) Familienmitgliedes gekennzeichnet. Die Ideale der Familie kennzeichnen sich hauptsächlich in einem „sinnen- und triebfeindlichen Leistungsideal“[5]. Nach außen soll die innerfamiliäre Problematik verdeckt werden.
Unter den Eltern zeigen sich „ mangelhafte Adaptionsfähigkeit an individuelle und familiäre Entwicklungs- und Lebensveränderungen sowie ungewöhnlich hohe Belastungen mit körperlichen, psychiatrischen oder psychophysiologischen Symptomen oder Krankheiten“[6]. Die Väter dieser Familien leiden häufig an einer oralen Krankheit, wie z.B. Alkoholismus,

Magenerkrankungen und Lebererkrankungen, und genießen eine Sonderbehandlung durch die Familie oder sind bereits früh verstorben. Die Mütter der Patienten sind „überzufällig häufig gestörte Persönlichkeiten mit dominierenden [...] Verhaltensweisen, mit ängstlich-nervösen hypochondrischen Zügen und mit neurotischen und depressiven Merkmalen [...]“[7]

Unter Auffassung der normalen Familie „als offenes System“[8] findet sich in sog. Magersuchtsfamilien vier weitere Merkmale, auf die an dieser Stelle jedoch nur kurz eingegangen werden kann, um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen:
1. Zu enge Verbindung der Familienmitglieder
Wichtige Stichworte sind übermäßige Abhängigkeit, Mangel an Privatheit, Druck in Richtung Zusammensein, Abschirmung nach außen und Blockade der direkten Kommunikation („analoge“ Kommunikation).

Fallbeispiel: „Eine 20jährige Anorexiepatientin möchte sich von ihrem Freund trennen, wagt aber nicht ihm dies direkt zu sagen. Am Weihnachtsabend will der Freund die Freundin besuchen. Daraufhin wird im ganzen Haus das Licht gelöscht, die ganze Familie stellt sich schlafend bzw. abwesend, bis der Freund nach langem Läuten wieder abzieht“.[9]
Der Wunsch nach Abwesenheit des Freundes wird folglich über einen indirekt kommunikativen Weg ausgedrückt. Dieses Verhalten stabilisierend übernimmt die ganze Familie die Aufgabe der 20-jährigen Frau, dem Freund ihre Wünsche und Gefühle klar zu machen.
2. Überprotektive Haltung der Familienmitglieder
Im Mittelpunkt des Interesses der Familie steht die ständige Sorge um das Wohl der Familienmitglieder. Die Kommunikation dreht sich um Krankheiten in der Familie.

3. Ausgesprochen strenge Familienorganisation
Der Status quo muß durch die Krankheit aufrechterhalten werden. Charakteristischerweise versuchen Mütter immer wieder, ihre Töchter an der Therapie zu hindern, da dann Konflikte in der Familie deutlich werden. Hingegen werden durch Sorge um das kranke Kind Familienkonflikte verdeckt.

4. Vermeidungsverhalten bei Konflikten

Konflikte werden nicht als Herausforderung, sondern als Versagen der Familie interpretiert. Oft bricht die Ehe der Eltern nach Heilung bzw. Verlassen der Familie an den nicht bearbeiteten Konflikten auseinander, da das stabilisierende Element Krankheit fehlt.

 

9.4 Prämorbide Persönlichkeitsstruktur
Die Patientinnen kennzeichnen sich auf den ersten Blick meistens durch intellektualisierendes, reserviertes und distanzierendes Verhalten. Weitere Merkmale sind:
- sehr gute Schulleistung
- testpsychologisch überdurchschnittliche Intelligenz
- immenser Leistungsehrgeiz, starker Wunsch nach Perfektionismus, sthenischer Typus  (gekennzeichnet durch rücksichtslose und offensive Vorgehensweise bei der Ansteuerung bestimmter Ziele)
- Denkfunktionen stagnieren auf präadolenzentem Niveau (z.B. eingeschränkte Fähigkeit zu abstraktem Denken)
- starke Anpassung an Forderung der Umwelt: Patientinnen werden oft von Verwandten als Musterkind beschrieben, die wohlerzogen, gewissenhaft und ruhig sind.
- oft läßt sich eine Störung der Persönlichkeitsstruktur feststellen, die als histrionisch oder schizoid bezeichnet wird

 

9.5 Lebenssituation zur Zeit der Krankheitsmanifestation
Für Adoleszenz typische Situationen sind phantasmatisch erlebte Trennung von Eltern und sexuelle Versuche. Diese werden von Anorektikerinnen nicht verarbeitet, da keine emotionale und kognitive Vorbereitung stattgefunden hat.
Wie bereits bekannt, würde Trennung auch die Familie destabilisieren. Die Trennungsproblematik für die Familie wird von Anorektikerinnen bei Ferienreisen, Auslandsaufenthalten usw. erlebt. Diese Problematik belastet die Heranwachsende zusätzlich zu der bei Adoleszenten auftretenden Identitätskrise.
Kontakte zu Männern werden meistens als gefährlich interpretiert. Eine Entwicklung der Geschlechtsmerkmale wird durch Abmagerung aufzuhalten versucht, da sie als abartig oder kränkend empfunden werden. Für eine Verarbeitung der Situation fehlt den Anorektikerinnen meistens eine Möglichkeit der positiven Identifizierung mit der weiblichen Rolle der Mutter. Diese Problematik hat für die Patientin einen sehr belastenden Charakter und wird oft unterschätzt.
Eine Entwicklung des Körpers wird immer als Kontrollverlust über den eigenen Körper erlebt. Dies erzeugt Angst und eine Minderung des Selbstwertgefühls.

 

9.6 Psychodynamik
Die Psychodynamik der Anorektikerin läßt sich nach einem Modell von Meyer (1970) unter vier Aspekten sehen, die auch kombiniert auftreten können:
1. Abwehr aller weiblichen sexuellen Bedürfnisse
Die Abwehr ist gegen die Übernahme einer weiblichen Rolle gerichtet. Dabei kommen vor allem die Abwehrmechanismen Verschiebung und Regression zum Tragen, um die sexuellen Triebimpulse in den oralen Bereich zurückzuverlegen. Dadurch erreichen Anorektikerinnen einerseits eine Verminderung der Angst, da sie wieder Kontrolle über den Körper erlangen, und andererseits einen sichtbaren körperlichen Erfolg (z.B. Schwinden des Busens, Sistieren der Menstruation).
2. Der Kampf um die Autonomie bzw. die Abwehr von Essen und Anstreben von Magerkeit als Kampf von Geist gegen den Trieb
Ein Lernziel der analen Phase ist, daß Körperbeherrschung ein zentraler Aspekt des Sauberkeitstrainings ist. Durch Regression und Verschiebung wird nun wiederum die Abwehr der Sexualität und des Essens zur asketischen Meisterleistung zu erhoben. Eine Flucht in asketische Ideale ist in der Adoleszenz auch bei Gesunden recht häufig.
Dadurch erreicht die Anorektikerin eine scheinbare Autarkie und damit ein narzisstisches Hochgefühl. Dagegen wird jede medizinische Hilfe als Gefahr interpretiert, diesen Zustand verlieren zu können.
3. Abwehr des Essens als Abwehr des Wunsches nach Annäherung
Diese Theorie postuliert einen Zusammenhang zwischen Essen und dem Erlebnis von Nähe, der durch die orale Phase geschaffen wird, in der Essen mit Hautkontakt verbunden ist. In diesem Sinne ist das Gefühl des Unbehagens zu interpretieren, das bei Nähe zu anderen Menschen vom Magersüchtigen empfunden wird.
4. Vorgänge, über die sich eine bereits angelaufene Anorexie selbst verstärkt
a) Teufelskreis zwischen Hunger und Autonomie: Hunger wird mit zunehmender Abmagerung als immer drohendere Macht erlebt, die die Autonomie gefährden kann.
b) Soziale Isolation: Es findet ein Rückzug auf sich selbst statt, da die Anorektikerin sich vermehrt mit Fasten beschäftigt. Die anderen werden als minderwertig beurteilt, da sie den menschlichen Trieben scheinbar ausgeliefert sind.
c) Verstärkung des pathologischen Verhaltens in sozialen Beziehungen: Lernprozesse der Patientinnen in entsprechender Umgebung (Krankenhaus, Familie) lenken den Therapieprozess in die falsche Richtung: Es existiert der unbewußte Wunsch nach Aufmerksamkeit, der bei nicht-Essen durch Zuwendung durch Ärzte und die  Familie befriedigt wird.
 

9.7 Zusammenfassung

Zur Zusammenfassung und Ergänzung sollen am Ende dieses Kapitels drei verschiedene Modelle der Ätiologie vorgestellt werden:[10]

1.      Der Freud´sche Ansatz interpretiert Essen als Ersatz für sexuellen Ausdruck. Nahrungsverweigerung ist danach als Furcht vor gesteigerten sexuellen Bedürfnissen oder einer „oralen Schwängerung“ zu interpretieren. Die Anorexie ist Ausdruck eines Ambivalenzkonflikts zwischen dem Wunsch nach Unabhängigkeit und der Angst, erwachsen zu werden.

2.      Das lerntheoretische Modell verdeutlicht einerseits eine Gewichtsphobie und andererseits das Verlangen nach einem gesellschaftlich geprägtem Bild der Idealfrau (Bsp. „Barbie“).

3.      Die physiologische Theorie stützt sich allein auf eine Dysfunktion des Hypothalamus, die eine Störung der Nahrungsaufnahme und der sexuellen Aktivität zur Folge hat.

 

[1] Die Ordnung der Faktoren und Modelle wurde weitgehend nach den Wertungsmaßstäben von Uexküll übernommen, der auf  ein psychoanalytisches Verständniskonzept besonderen Wert legt. In seinem Werk „Psychosomatische Medizin“ werden die Aspekte familiäre Disposition und Psychodynamik besonders ausführlich behandelt.

[2] UEXKÜLL, 603

[3] UEXKÜLL, 614

[4] ebd.

[5] UEXKÜLL, 615

[6] REMSCHMIDT/SCHMIDT, 181

[7] ebd.; Anmerkung: einige verwandte Fachbegriffe sind im ICD-10 nicht mehr gültig.

33 UEXKÜLL, 615

[9] ebd.

[10] Gliederung nach DAVISON/NEALE

 

10. Therapie und Verlauf

Nach Feststellung der Diagnose muß zwischen ambulanter Therapie oder stationärer Aufnahme entschieden werden.

 

10.1 Kriterien der stationären Behandlung

Für eine stationäre Behandlung sprechen folgende Kriterien, die sich in drei Gruppen gliedern:

1.      Medizinische Kriterien
– Gewicht unter 75% des Normalgewichts
– depressive Verstimmung mit Suizidgedanken
– körperliche Erscheinungen (Elektrolytstörungen, Bradykardie, Exsikkose)

2.      Psychosoziale Kriterien
– stark eingeschränkte Leistungsfähigkeit
– soziale Isolation
– festgefahrene familiäre Interaktion

3.        Psychotherapeutische Kriterien
– Abbruch ambulanter Therapieversuche
– Fehlen einer erfolgversprechenden Alternative

 

10.2 Ambulante Therapie

Falls diese Kriterien nicht zutreffen, ist eine ambulante Therapie indiziert. Oft müssen neurologische, internistische, gynäkologische usw. Untersuchungen durchgeführt werden. Dabei haben Patientinnen oft das Gefühl, von den Ärzten allein gelassen zu werden und keine Bezugsperson zu haben. Deswegen ist eine fachlich kompetente, einfühlsame und zentrale Beratung durch einen psychologischen oder ärztlichen Therapeuten/in neben der körperlichen Untersuchung notwendig.

Die ambulante Therapie setzt sich aus mehreren parallel verlaufenden Teilen zusammen. Zunächst muß der Gewichtsverlauf analysiert werden und ein Zusammenhang zu den jeweiligen Lebenssituationen hergestellt werden. Dadurch lassen sich erste Hinweise für sogenannte „Auslösesituationen“[1] eruieren.

Der nächste Schritt beinhaltet die Kontrolle des Eßverhaltens durch Eßprotokolle, die gemeinsam besprochen werden. Die Patientin lernt, selbst einen Zusammenhang zwischen ihrem Eßverhalten und der äußeren Situation herzustellen. Langsam können Veränderungen ausprobiert und besprochen werden. Die Eßprotokolle geben der Patientin Stabilität und Sicherheit, weil sie eine Kontrollmöglichkeit hat. Auch hier kommt das sog. „Anti-Diät-Modell“[2] zum Einsatz, auf das an späterer Stelle genauer eingegangen wird.

Neben dem Arbeiten auf der Symptomebene müssen nebenher in der Psychotherapie Konfliktfelder im persönlichen und sozialen Umfeld und zu Bezugspersonen aufgedeckt werden.

Dazu kommt Entspannungstraining, Verdeutlichen der Körperschemastörung und Selbstsicherheitstraining.

Vorteil der ambulanten Therapie ist, die Patientin in ihrem persönlichen Umfeld belassen zu können, wo sie neu gewonnene Erkenntnisse umsetzten kann. Dieser Aspekt kann sich jedoch auch bei schwerwiegend gestörtem Konfliktfeld (z.B. „Magersuchtsfamilie“) nachteilig auswirken.

 

10.3 Stationäre Therapie

Die stationäre Therapie läßt in vier Grundabschnitte unterteilen. Die erste Phase hat als primäres Ziel, das Körpergewicht auf ein Niveau außerhalb des lebensbedrohenden Bereichs anzuheben. Dazu ist manchmal eine Ernährung über eine Sonde notwendig. Die Gewichtszunahme soll langsam erfolgen, da eine Verarbeitung des neuen Körperbildes notwendig ist. Schon in dieser Phase verschwindet oft die durch die Abmagerung des Körpers bedingte depressive Stimmungslage.

In der zweite Phase ist die Nahrungsaufnahme noch durch die Klinik in Essensplänen vorgegeben. Die Familie wird in den therapeutischen Prozess stärker mit einbezogen. Unterstützt wird die Entwicklung der Patientin durch Psychotherapie in Form von Einzel- und Gruppentherapie und durch körperbezogene Therapien.

Die dritte Phase kennzeichnet sich durch eine Selbststeuerung der Nahrungsaufnahme. Dazu kommt Familientherapie bei jüngeren Patientinnen und eine auf Verselbständigung abzielende Therapie bei älteren Patientinnen.

Im vierten Abschnitt wird die Patientin auf die Entlassung vorbereitet. Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, Problemsituationen zu antizipieren. Insgesamt soll eine Rehabilitation in beruflichen und sozialen Lebensbereichen zur Stabilisierung der Patientin erreicht werden.

 

[1] LEIBL/LEIBL, 110

[2] LEIBL/LEIBL, 111

 

11. Verhaltensmedizinischer Therapieansatz der Klinik Roseneck nach Prof. Fichter

In diesem Kapitel soll der bisher theoretische Therapieansatz durch eine allgemeine Beschreibung der praktische Durchführung einer Therapie in der bekannten Klinik Roseneck verdeutlicht werden.

Der verhaltensmedizinische Ansatz wird sowohl für Anorexie- als auch Bulimiepatienten verwendet, soll hier aber nur für die Behandlung der Anorexia nervosa erläutert werden.

 

11.1 Die Diagnose als Ausgangspunkt

Der Therapieansatz betont die Einzigartigkeit der einzelnen Patienten, die nach individueller Behandlung verlangt. Die Diagnose „Anorexia nervosa“ darf nur als das oberflächlich Sichtbare interpretiert werden und ist somit nur Ausgangspunkt für die Behandlung.

 

11.2 Der Therapiebeginn
Zunächst gilt es, die Wahrnehmung und das Gefühl für den eigenen Körper bei Patientinnen zu trainieren. Danach steht das Äußern dieser Gefühle im Mittelpunkt. Wenn Patientinnen dieses Ziel erreicht haben, haben sie gleichzeitig ein Stück verlorengegangene soziale Kompetenz wiedererlangt.

 

11.3 Die Anpassung des weiteren Therapieverlaufs
Die weitere Therapie verläuft schwerpunktmäßig an jede einzelne Patientin angepaßt. Dazu hat Prof. Fichter verschiedene Problembereiche mit einer Therapiemöglichkeit herausgearbeitet. Je nach Patientenprofil wird die Therapie angepaßt. Dazu wurde eine Übersichtstabelle entwickelt.[1] In den Bereichen, in denen die meisten Defizite zu finden sind, legt die Therapie besondere Schwerpunkte.

Insgesamt stehen bei diesem Therapiekonzept lerntheoretische, sozialpsychologische und psychodynamische Modelle im Mittelpunkt, um einen ganzheitlichen Ansatz zu schaffen. Auch medizinische, ernährungswissenschaftliche, kognitiv-verhaltenstherapeutische, familientherapeutische und körperorientierte Therapieansätze werden integriert.

 

11.4 Zentrale Institutionen

Die Behandlungskonzeption hat verschiedene „Stützpfeiler“, die im einzelnen erläutert werden:

-         Eine besonders wichtige Rolle spielt die therapeutische Gemeinschaft. Vor Behandlungsbeginn befindet sich die Kranke in einem Teufelkreis, der die Eßgestörte immer weiter in ihre Krankheit treibt. Ein Beispiel: Aus Angst vor Ablehnung zieht sich die Kranke von der Gemeinschaft zurück, was zu einer immer einseitigeren Sichtweise ihrer Situation führt. Es entstehen Schuldgefühle die zu weiterem Rückzug führen.
Durch die therapeutische Gemeinschaft wird der Teufelskreis aufgebrochen. Die Kranke sieht, daß sie von einer Gruppe von Menschen mit ähnlichen Problemen angenommen wird. Außerdem erhält jede neu aufgenommene Patientin eine Mitpatientin als Pate, die sie in den Klinikalltag einführt.
Dadurch entstehen Offenheit und Selbstakzeptanz, die die Voraussetzung für das Erlangen von sozialer Kompetenz, einem der ersten Therapieziele, sind.

-         Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Behandlungsbeginn, der im „Hier und Jetzt“[2] stattfinden soll. Das Gefühl für die Wahrnehmung von Körpersignalen, Gefühlen und Bedürfnissen muß wiedererlangt oder zumindest gesteigert werden, um das Eßverhalten ändern zu können. Durch Veränderung in der Wahrnehmung des Körpers ist Selbstentfaltung möglich.

-         Durch das „Anti-Diät-Modell“[3] werden Diätvorschriften, in denen Patienten zwischen erlaubten und unerlaubten Nahrungsmitteln unterscheiden, aufgegeben. Die Zahl der Nahrungsmittel, die sich Patientinnen erlauben, soll kontinuierlich erweitert werden.

-         Informationsdefizite müssen ausgeglichen und Entstehung, Erscheinungsbild und Folgen der Krankheit verdeutlicht werden.

-         Irrationale Gedanken werden kognitiv im Rahmen eines verhaltenstherapeutischen Ansatzes bearbeitet. Dadurch soll das Denken in totalen Kategorien abgewöhnt werden.

 

11.5 Das therapeutische Angebot

Die Therapie setzt sich aus acht Bestandteilen zusammen:

1.      Arbeit in offenen Gruppen zur konfliktaufdeckenden, stabilisierenden Arbeit bzw. teilstrukturierten Gruppen zur Analyse des Eßverhaltens

2.      Anleitung zur Körperarbeit, die bei Anorexiepatienten hauptsächlich auf ein Entspannungstraining abzielt

3.      Gestaltungstherapie zur Erhöhung der Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit

4.      Einzel-/Familientherapie, die individuell festgelegt wird

5.      Sozialdienst mit Sozialpädagogen, die Ansprechpartner bei Fragen zur beruflichen und sozialen Rehabilitation sind

6.      Physikalische Therapie nach ärztlicher Anweisung

7.      Eine Lehrküche im Rahmen des „Anti-Diät-Modells“, die der Vermittlung von Kenntnissen bei der Zubereitung gesunder Speisen dienen soll

8.      Förderprogramm für Selbsthilfe, Eigenverantwortung und schließlich auch Übernahme von Verantwortung

 

11.6 Behandlungserfolg

Im Durchschnitt ließen in einer Studie statistisch signifikante Besserungen durch die Behandlung in der Klinik Roseneck nachweisen. Patientinnen, die keine weiteren psychischen Störungen (z.B. Depressionen) aufwiesen,  hatten einen nachweislich günstigeren Krankheitsverlauf. Die Behandlung wurde von den Meisten als „nachhaltig prägendes Ereignis“[4] empfunden. Rückfälle traten, wenn sie vorkamen, vor allem nach einem Zeitraum von sechs bis neun Monaten nach der Entlassung auf.

Zur Unterstützung der Patientin nach der Entlassung wird in Ausnahmefällen auf sinnvollen Einsatz von Medikamenten bzw. eine ambulante Therapie oder Selbsthilfegruppe hingewiesen.

 

[1] Die Bildtafel findet sich im Anhang

[2] LANGSDORFF, 160

[3] LANGSDORFF, 161

[4] LANGSDORFF, 164

 

 

Literaturverzeichnis

 

AHRENS, Stephan: Lehrbuch der psychotherapeutischen Medizin; Stuttgart, New York 1997

 

BRUCH, Hilde: Eßstörungen, Frankfurt am Main 1997

 

DAVISON/NEALE: Klinische Psychologie, Weinheim 1996

 

DILLING/MOMBOUR/SCHMIDT (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer

Störungen ICD-10 Kapitel V (F); Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 1993

 

HERPERTZ-DAHLMANN/REMSCHMIDT: Anorexia und Bulimia nervosa im Jugendalter

            in: Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 17, Köln 1994

 

HERZOG/MUNZ/KÄCHLE: Analytische Psychotherapie bei Eßstörungen; Stuttgart,

New York 1996


LANGSDORFF, Maja: Die heimliche Sucht, unheimlich zu essen, Frankfurt am Main 1997

 

LEIBL/LEIBL: Schneewittchens Apfel, Freiburg 1996

 

REMSCHMIDT/SCMIDT: Kinder- und Jugendpsychiatrie in Klinik und Praxis,

Stuttgart 1985

 

TROJOWSKI, Alex: Therapieansatz der Uni-Kinderklinik Graz im Internet unter

            http://www-ang.kfunigraz.ac.at/~trojovsk/doc/anorexia.html

 

TUTSCH u.a.: Lexikon der Medizin, München, Wien, Baltimore 1997

 

UEXKÜLL, Thure von: Psychosomatische Medizin, München, Wien, Baltimore 1986

 

 

 

 

Abbildungsnachweis

 

 

 

Abbildung 1:    LANGSDORFF, Maja: Die heimliche Sucht, unheimlich zu essen,

Frankfurt am Main 1997, S. 159

 

 

Anhang

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Stand: 09. Oktober 2002.